Es gibt Situationen im Leben eines Börsianers, da glaubt man sich bereits als sicherer Sieger. Doch gerade an der Börse ist das so eine Sache mit den vermeintlich einfachen Wahrheiten. Denn gerade, wenn man glaubt, alle Trümpfe in der Hand zu halten, verkehrt sich die Börsenwelt oftmals ins Gegenteil. Genau diese Erfahrung musste auch Börsenneuling Matthias kürzlich sammeln. Heute berichtet er über seine spannende, aber kurze Karriere als Börsenspekulant im Rahmen der DAX-Aufnahme von Delivery Hero.
Viel Spaß also beim nächsten Gastbeitrag auf Jung in Rente.
Ein Gastbeitrag von Matthias.
Es ist der wahrscheinlich größte Krimi der deutschen Börsengeschichte.
Erst sucht die Wirecard AG – Zahlungsdienstleister aus München und seit September 2018 DAX-Mitglied – auf den Philippinen nach 1,9 Milliarden Euro, die als Vermögenswerte bilanziert wurden, vom Wirtschaftsprüfer EY jedoch nicht bestätigt werden konnten. Dann ist das Bundeskriminalamt weltweit hinter einem ehemaligen Vorstandsmitglied von Wirecard her.
Es geht um Betrug im ganz großen Stil.
Ende Juni 2020 meldet Wirecard Insolvenz an.
Die 1,9 Milliarden Euro, die man in Südostasien letztendlich vergeblich suchte, hätten wohl nie existiert. In der Folge fällt der Kurs der Wirecard-Aktie – und damit die Marktkapitalisierung des Unternehmens – dramatisch ab.
Die Deutsche Börse AG, die die Zusammensetzung des DAX auch anhand der Marktkapitalisierung der Unternehmen bestimmt, kündigt an, Wirecard im Index zukünftig nicht mehr zu berücksichtigen.
Wer Wirecard im DAX nachfolgen soll, ist zunächst unklar. Im Gespräch sind insbesondere die niedersächsische Symrise AG, Hersteller von Duft- und Aromastoffen, sowie die Delivery Hero SE mit Sitz in Berlin, eine Betreiberin von Online-Bestellplattformen.
Vom risikoaversen Börsenneuling…
Ich selbst verfolge den Krimi um Wirecard und die DAX-Nachfolge des Unternehmens zunächst als Außenstehender.
Ich bin ein eher risikoaverser Privatanleger und habe nie in Einzelaktien investiert.
Genau genommen, habe ich lange Zeit überhaupt nicht investiert.
Erst nachdem mir David, den ich im echten Leben kenne, lange gut zuredete, habe ich mich Ende 2019 dazu durchringen können, eine Reihe von Fondssparplänen einzurichten.
Mein Geld fließt in Fonds, die allgemein in Aktien, Staatsanleihen westlicher Industrienationen, den Immobiliensektor und Rohstoffe investieren.
Mangelnde Diversifikation kann man mir zumindest nicht vorwerfen.
…zum aktiven Aktienspekulanten
Am 13. August 2020 bin ich im Heimaturlaub, als Bewegung in die Frage nach der DAX-Nachfolge von Wirecard zu kommen scheint.
Am Frühstückstisch stolpere ich bei Nutella-Toast und Milch auf der Website eines großen Wirtschaftsmagazins über einen Artikel, der Delivery Hero als den DAX-Nachfolger von Wirecard präsentiert.
Zwar würde die Deutsche Börse den Namen des Nachfolgers erst in ein paar Tagen offiziell verkünden. Allerdings erfülle Delivery Hero die für eine DAX-Aufnahme relevanten Kriterien unter allen in Frage kommenden Unternehmen am besten.
Der Artikel, den ich am Frühstückstisch entdecke, war erst kurze Zeit vorher veröffentlicht worden. Die Märkte hatten noch keine Zeit, darauf zu reagieren.
Ich stelle mir vor, wie die Aktie von Delivery Hero bis zur offiziellen Bekanntgabe der Wirecard-Nachfolge durch die Decke geht.
Außerdem, so überlege ich mir, sollten Vermögensverwalter, die mit ihren Anlageprodukten den DAX nachbilden, nach der tatsächlichen DAX-Aufnahme des Unternehmens die Aktie nachfragen und so den Kurs weiter in die Höhe treiben.
Was mich dann antreibt, weiß ich nicht: Vielleicht ist es Neugierde, vielleicht bloße Langeweile in einem Urlaub in Zeiten von „Social Distancing“. In jedem Fall habe ich gegen 9.30 Uhr meine ersten Einzelaktien im Depot: 10 Namensaktien der Delivery Hero SE, gekauft zu 100,55 Euro das Stück.
Ich habe mir vorgenommen, vom DAX-Einzug des Unternehmens zu profitieren.
Was würde Kostolany sagen?
Den Rest des Tages verbringe ich vor dem Rechner und verfolge die Entwicklung der Aktie mit Argusaugen.
Jedes Mal, wenn der Graph im Schaubild leicht nach unten abbiegt, zucke ich zusammen.
Am Ende des Tages biegt der Graph jedoch insgesamt öfter nach oben ab, als nach unten.
Während die zentralen deutschen Aktienindizes am 13. August 2020 eher schwächeln, beendet die Aktie der Delivery Hero SE den Handelstag mit über 4 % im Plus.
Abends liege ich im Bett und fühle mich ein bisschen wie Börsenguru André Kostolany.
Vielleicht wird aus mir ja doch noch ein echter Trader. Ein „Spekulant“, um es mit den Worten des Großmeisters zu sagen.
Hochmut kommt vor dem Fall
Wie so oft kommt Hochmut vor dem Fall.
Gleich am Folgetag fällt der Kurs der Aktie deutlich ab.
Die Aktie der Delivery Hero SE beendet den Handel unter der 100-Euro-Marke und liegt damit unter meinem Einstiegskurs.
Als ich abends im Bett liege, bin ich nicht mehr Börsenguru André Kostolany. In erster Linie bin ich nun mit meinen Aktien im Minus.
Achterbahnfahrt der Gefühle
Die nächsten Handelstage gleichen einer Achterbahnfahrt.
Der Kurs der Aktie fällt und steigt, liegt manchmal unter und manchmal über meinem Einstiegskurs.
Ich leide und freue mich jedes Mal mit.
Der deutliche Aufwärtstrend, den ich mir bei meinem Einstieg erhofft hatte, ist allerdings nicht auszumachen.
„Na toll!“, denke ich mir. „Wahrscheinlich sind schon alle erwartbaren Entwicklungen bezüglich der DAX-Aufnahme des Unternehmens in meinem Einstiegskurs eingepreist gewesen…“.
„Eingepreist“ ist übrigens eines der Lieblingswörter der Börsianer. So viel habe ich schon mitbekommen.
Ich hatte also recht…
Am 20. August 2020 ereilt mich am Frühstückstisch die nächste Neuigkeit zur DAX-Nachfolge von Wirecard.
Mehrere Medienhäuser berichten übereinstimmend, die Deutsche Börse habe am Vorabend die DAX-Aufnahme von Delivery Hero offiziell verkündet. Die Aufnahme werde zum 24. August 2020 erfolgen.
Zugegebenermaßen bin ich ziemlich erleichtert.
Auch wenn die Spatzen es bereits von den Dächern pfiffen, habe ich nun Gewissheit: Ich habe vor wenigen Tagen die Aktien eines zukünftigen DAX-Mitglieds erworben.
Ich bin gespannt, wie der Aktienkurs auf die offizielle Bekanntgabe reagieren wird.
Als ich noch am Frühstückstisch die Kursentwicklung der Delivery Hero-Aktie überprüfe, bleibt mir die Banane fast im Hals stecken: Der Aktienkurs reagiert, allerdings anders, als erwartet.
Am Morgen des 20. August 2020 fällt der Graph im Schaubild fast senkrecht ab; die Aktie büßt zeitweise fast 4 % ein.
Im Laufe des Tages stabilisiert sich der Kurs. Dennoch beendet die Aktie der Delivery Hero SE den Handelstag deutlich im Minus.
Unmittelbar nachdem der DAX-Einzug des Unternehmens offiziell verkündet und dem Unternehmen der Weg in die erste Börsenliga eröffnet wurde, sackte der Aktienkurs deutlich ab.
Das soll mir mal jemand erklären.
…oder doch nicht?!
Meine Karriere als Trader dauert inzwischen bereits 7 Tage an und mein Plan, von der DAX-Aufnahme der Delivery Hero SE zu profitieren, scheint nicht aufzugehen.
Ich beschließe, noch die Umsetzung der DAX-Aufnahme am 24. August 2020 abzuwarten.
Spätestens dann, so hoffe ich, könnte der Kurs der Aktie durch die Nachfrage institutioneller Anleger wieder ansteigen.
Der Morgen des 24. August 2020 beginnt vielversprechend. Die Aktie der Delivery Hero SE ist klar im Aufwärtstrend.
„Endlich geht das Ganze wieder in die richtige Richtung“, freue ich mich.
„Delivery Hero-Aktie mit erfolgreichem DAX-Debüt“, titelt ein großes deutsches Finanzportal.
Am Nachmittag stellt sich dann jedoch ein Bild ein, das ich mittlerweile bereits zur Genüge kenne: Der Kurs der Aktie fällt wieder deutlich ab.
Während der DAX den Handelstag mit einem Plus von über 2 % beendet, beschließt die Aktie des jüngsten DAX-Mitglieds ihren ersten Handelstag im neuen Index klar im Minus.
Sowohl ich, als auch das große deutsche Finanzportal, waren in unserer Einschätzung über das DAX-Debüt des Onlineplattformbetreibers scheinbar etwas voreilig.
Fazit: Meine Spekulation auf den DAX-Einzug von Delivery Hero ist nicht aufgegangen
Noch am 24. August 2020 geht meine Karriere als Börsenspekulant nach nur 12 Tagen zu Ende.
Mein Plan, vom DAX-Einzug der Delivery Hero SE zu profitieren, ist nicht aufgegangen.
Am Abend verkaufe ich meine 10 Namensaktien des Unternehmens zu 94,18 Euro das Stück. Insgesamt beträgt mein Verlust bei Berücksichtigung der angefallenen Transaktionskosten 92,61 Euro.
Während ich 92,61 Euro verliere, gewinne ich eine bedeutende Einsicht: Mir ist nun klar, dass ich das Spekulieren mit Aktien wohl besser unterlassen sollte.
Auf Kostolanys* Spuren werden zukünftig Andere wandeln müssen…
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Und warum hast du sie nicht einfach weiter gehalten?
Ein anderer Satz von Kostolany war: „ Kaufen Sie Aktien, nehmen Sie Schlaftabletten und schauen Sie die Papiere nicht mehr an. Nach vielen Jahren werden Sie sehen: Sie sind reich.“
Ich glaube auch bei Delivery Hero funktioniert diese Herangehenweise, wenn ich mir ansehe wie oft meine Freunde und Kollegen bestellen…
Hi Marc,
vielen Dank für deinen Kommentar! Wenn ich wissen will, wie oft heutzutage bestellt wird, muss ich gar nicht weit schauen! Da sollte ich mir an die eigene Nase fassen!
Dein Punkt ist völlig berechtigt. Allerdings hatte ich nie vor, die Aktie lange zu halten. Ich habe mich auch überhaupt nicht mit Geschäftsmodel und Financial Statements auseinandergesetzt. Vielmehr habe ich auf den DAX-Einzug gewettet und von Anfang an festgelegt, dass ich die Aktie nur so lange halten würde, bis Wirecard im DAX abgelöst wurde. Egal wie das Ganze ausgehen würde. Ironischerweise ging die Wette auf und der Kurs ist trotzdem gefallen. Wahrscheinlich war ich einfach zu spät an.
Bei meinen ETF-Sparplänen wende ich die Kostolany-Strategie an (wenn auch ohne Schlaftabletten). Mal schauen, wo ich in einigen Jahren stehe!
LG
Matthias